Journal
«
»
DAS LEBEN DER ANDEREN

Das-Leben-der-Anderen

Neulich wurde mir ein bemerkenswerter Nebeneffekt beim Schreiben erstmals so richtig bewusst: Das völlige Eintauchen in das Leben meiner Charaktere.

Ich verbringe täglich Stunden mit meinen Figuren, kümmere mich um ihre Sorgen und Nöte, teile ihre Freude und ihr Leiden. Wenn ich dann abends heimkehre, bin ich davon meistens noch völlig mitgerissen. Das geht manchmal sogar so weit, dass ich im ersten Moment nicht fähig bin, meiner realen Familie die ihr verdiente Aufmerksamkeit zu schenken.

Natürlich beschleicht mich dabei ein schlechtes Gewissen, auf der anderen Seite jedoch auch eine gewisse Zufriedenheit. Es ist das Gefühl, meine Figuren würden wirklich existieren, was sie umso glaubhafter macht. Aber dieser Effekt hat auch etwas beängstigendes. Ich habe einmal gehört, dass Schauspieler nach einer Aufführung für einen geraumen Zeitraum Narrenfreiheit genießen. Dies, weil sie dermaßen in ihrer Figur stecken, dass sie für ihr Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Vielleicht ist das ein Mythos, aber falls es tatsächlich der Wahrheit entspricht, so kann ich es doch auf eine gewisse Art nachvollziehen. Allerdings erwarte ich von meiner Familie natürlich kein Verständnis dafür, wenn ich mich von gewissen Haushaltspflichten mit der Begründung drücke, ich sei noch zu sehr davon erschüttert, wie entsetzlich eine meiner Figuren beim Kampf gegen ein Ungetüm gelitten hat.

Gleichwohl. Dieser Effekt fasziniert mich ungemein. Es ist, als ob mich meine Berufung nie wirklich loslässt. Es ist im wahrsten Sinne eine Leidenschaft.

Ich frage mich, ob dies nur denjenigen passiert, die das Glück haben, das tun zu dürfen, was sie wirklich lieben. Dies mag anmaßend klingen, aber ich bezweifle irgendwie, dass der Mitarbeiter eines Fastfoodrestaurants auch so was erlebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich während des Feierabends noch viele Gedanken über das Schicksal der verkauften Fritten und Burger macht. Natürlich wirkt jede Arbeit am Ende des Tages nach, und man beschäftigt sich mit den Dingen, die man währenddessen erlebt hat, aber das meine ich nicht. Es geht mir eher um das Gefühl, dass man eins wird mit dem, was man tut. So sehr, dass man große Mühe hat, sich davon zu lösen.

Wie ist das bei euch? Inwiefern beeinflusst euer Beruf eure Gefühle und Gedanken? Das nähme mich wirklich wunder.

P.S.: In der Rubrik „Kurzgeschichten“ gibt es eine neue … genau: Kurzgeschichte!


  1. Christoph 12:41 am 16.Februar 2011

    Mir geht es ähnlich. Wobei ich mich manchmal frage: „Beschäftigt Dich das, weil Du unter Termindruck stehst, oder ist es wirklich die Liebe zum Job?“, Erinnert mich auch etwas an eine Beziehung. Auf jeden Fall entfalten sich derartige Gefühle bei mir auch, und natürlich wenn ich an meinen Figuren schreibe, wenn auch leider selten in letzter Zeit. Aber ich bin zuversichtlich: „Langsam wächst die Eiche…“
    😉

    Bei dem Frittenverkäufer denke ich allerdings, das ihn sein Job durchaus über seine Zeit vor Ort hinweg beschäftigt, zumindest bis er duscht…

    Best wishes
    Chris


  2. Boris 12:41 am 17.Februar 2011

    Ja, guter Gedanke. Es ist wirklich wie eine Beziehung. Liebe und Hass gehen Hand in Hand. Aber dies funktioniert meines Erachtens nur, wenn man seine Tätigkeit liebt. Tut man es bloß um des Geldes wegen, überkommt einem doch rasch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber seinem Beruf. Darum denke ich auch, dass der Gemeine Frittenverkäufer nach Feierabend kaum noch eindringlich über seine Arbeit sinniert, außer, er wünscht sich einen anderen Job.

    Viele liebe Grüße

    Boris


  3. Christoph 12:41 am 3.März 2011

    Hallo Boris.
    Ich bin mir sicher der Frittenverkäufer sinniert nicht wirklich über seinen Job, da hast Du recht. Mich belustigt allerdings der Gedanke, wie er seinen Job mit sich herumträgt, den Duft seiner täglichen Arbeit – bis er duscht und endlich nicht mehr gewzungen ist, an sein Tun erinnert zu werden…
    😉

    Ja, die Liebe zum Job ist eines der Dinge, die einen am Leben halten. Alles andere sind die „grauen Männer“ da draussen.


  4. Boris 12:41 am 14.April 2011

    Aber ohne die „grauen“ Männer ginge es ja dann eben doch nicht. Denen gebührt trotz Allem großer Respekt. Auf dass das Graue etwas Farbe bekommt!

    Viele liebe Grüße

    Boris


Kommentar hinterlassen